[img_assist|nid=362|title=|desc=|link=none|align=right|width=100|height=43]Mitte März 2001, nachdem ein Sexualtäter ein 12-jähriges Mädchen getötet hatte, machten die CDU-Innenminister Werthebach (Berlin) und Schönbohm (Brandenburg) einen Stimmungstest: Sie forderten, Gen-Daten aller in der Bundesrepublik lebenden Männer zwangsweise zu erfassen und vorbeugend beim Bundeskriminalamt zu speichern. Der Vorstoß stieß noch auf breite Ablehnung. Aber der nächste Ruf nach genetischen Rasterfahndungen kommt bestimmt - spätestens nach dem nächsten Aufsehen erregenden Sexualmord. KritikerInnen der Methode argumentieren juristisch und bewerten Massen-Gentests zu Recht als verfassungswidrig. Allerdings übersehen dabei viele, dass auch die Aussagekraft und Verlässlichkeit des »genetischen Fingerabdrucks« begrenzt sind.
Alle Menschen haben vollkommen einmalige Fingerabdrücke. Sie verändern sich nicht - weder durch Wachstum, noch im Alter oder durch oberflächliche Verletzungen. Und jeder Handgriff verursacht Spuren, denn eine Vielzahl kleinster Schweißdrüsen hinterlässt ihr charakteristisches Muster auf vielen Oberflächen.
Das von BiologInnen geprägte und von KriminalistInnen und PolitikerInnen gern benutzte Schlagwort »genetischer Fingerabdruck« ruft Assoziationen hervor: Ebenso klar und einfach (wenn auch mit hochtechnischen Methoden) wie der normale Fingerabdruck soll er sein, ebenso unverwechselbar und irgendwie auch noch genauer. Die griffige Formulierung mag viele überzeugen, doch sie führt in die Irre.
Der erste Unterschied ist offensichtlich. Fingerabdrücke werden ausschließlich von Fingern hinterlassen. Dagegen lassen sich »genetische Fingerabdrücke« aus fast jedem biologischen Material, das (am Tatort) aufgefunden wird, herausholen: Analysiert werden können zum Beispiel Haare, Sperma oder Spucke an Zigarettenstummeln. Die Zuordnung zu einer Person beweist allerdings noch nicht, dass der Betroffene tatsächlich auch am Fund- bzw. Tatort gewesen ist.
Anfällig für Fehler
Das derzeit herrschende molekulargenetische Modell geht davon aus, dass sich im Erbgut (DNA) jedes Menschen eine Vielzahl von Abschnitten befindet, die in verschiedenen Variationen vorliegen: angefangen bei verschiedenen Untergruppen der Blutgruppen, über Mutationen einzelner Basenpaare bis zu DNA-Abschnitten, in denen sich Basensequenzen vielfach identisch wiederholen und denen man bis dato keinerlei Funktion im Erbgut zuschreiben kann. Zur Zeit glauben fast alle HumangenetikerInnen, dass das Erbgut jedes Menschen - mit Ausnahme eineiiger Zwillinge - einmalig ist. Während sich der normale Fingerabdruck jedoch auf zehn leicht auffindbare Finger beschränkt, sind die verschiedenen Marker irgendwo im Genom verteilt. Das heißt: Selbst wenn es technisch möglich sein sollte, sind die ExpertInnen praktisch noch weit davon entfernt, jedem Menschen eine individuelle Liste aus drei Milliarden Basenpaaren zuzuordnen.
Während ein Fingerabdruck auch am Finger besteht und in seiner Originalgröße sichtbar ist, entsteht ein »genetischer Fingerabdruck« im Labor: sowohl durch die frei bestimmbare Auswahl der Marker als auch durch Methoden, die ihn überhaupt erst sichtbar machen. Durch chemische und elektrische Prozesse wird die DNA in Stücke geschnitten und in einer Gel-Platte nach Größe angeordnet. Dies bildet die bekannten »Banden«, also dunkle Streifen, die in Lage, Größe und Vorhandensein verglichen werden. Die Methoden zur Sichtbarmachung dieser Banden können sich je nach Laborprotokoll, Gerätschaften und Reagenzien allerdings unterscheiden.
Liegt nur wenig verwertbares biologisches Material vor, etwa ein einzelnes Haar oder getrocknete Blutspritzer, dann muss die DNA vor der Verarbeitung mittels der so genannten PCR (Polymerase Chain Reaction) vervielfältigt werden. Da diese Methode extrem sensibel ist, ist sie auch sehr anfällig für Fehler, sowohl intern als auch durch externe Verunreinigungen. Zwar werden die Verfahrensprotokolle immer ausgefeilter. Aber im Gegensatz zu einem Fingerabdruck, dem man ansehen kann, ob er verschmiert ist oder nicht, ist es beim einzelnen »genetischen Fingerabdruck« nicht per se möglich zu erkennen, ob eine Verunreinigung stattgefunden hat.
Sechs Richtige im Lotto
Problematisch ist auch die Aussagekraft der Methode selbst. Ein Fingerabdruck sagt eindeutig aus: »Diese Person war oder war nicht am Tatort.« Da sich ein »genetischer Fingerabdruck« nur auf einige DNA-Abschnitte und nicht auf das gesamte Genom bezieht, ist seine Aussage auch keine absolute. Sie sagt nicht mehr und nicht weniger als: »Mit einer so-und-so großen Wahrscheinlichkeit kann die gefundene Probe außer von dem Verdächtigen auch noch von jemand anderem aus der Bevölkerung stammen.«
Diese Wahrscheinlichkeit kann zum Beispiel bei 1:10 Millionen liegen (107), oder auch 1:100 Millionen (108). Die Frage, wann einer Wahrscheinlichkeit klein genug ist, liegt dabei im Ermessen des Gerichts, das dieses Indizienbeweismittel werten und gewichten muss. Mit rechnerischen Wahrscheinlichkeiten wie 1:107 mögen KriminalistInnen vielleicht PolitikerInnen und andere Laien beeindrucken. Aber: Die Wahrscheinlichkeit, Sechs Richtige im Lotto zu haben, ist mit 1:1010 tausendmal geringer. Trotzdem tritt sie fast jedes Wochenende ein.