Der frauenlose Embryo

[img_assist|nid=367|title=|desc=|link=none|align=right|width=100|height=43] Dieser Denkzettel "Der frauenlose Embryo" ist der vierter Anlauf von BioSkop, eine Facette des biopolitischen Zeitgeschehens besser zu begreifen. Das Thema hat es in sich. Im Laufe der vorbereitenden Diskussionen ist es uns unter den Händen ex plodiert. Das hat mehrere Gründe:
Zum einen jagt eine technologische Neuerung im Bereich der Embryonenverwendung und Embryonenforschung die nächste: Pressemeldungen berichten über embryonale »Stammzellen« als Rohstoff für sagenhafte Organ- und Gewebezüchtungen, über embryonenverbrauchende Klonierungsversuche (bis hin zur angeblichen »Verjüngung« menschlicher Zellen als Schritt zum ewigen Leben), über Reparaturen und Umgestaltungen embryonaler »Gene«.

Zum anderen findet unübersehbar eine Veralltäglichung eines sozusagen ganz und gar auf den Embryo als Hauptperson konzentrierten Fortpflanzungswesens statt. Das betrifft sowohl die Angebote von Reproduktions-Experten als auch die Nachfrage durch den ganz normalen Mann, die ganz normale Frau bzw. (vor allem dieses!) das ganz normale kinderwünschende, sprich : fortpflanzungswillige »Paar«. Die künstliche Befruchtung mit allem, was sich anschließt, ist ebenso normal geworden wie die technisch vollständig außenkontrollierte Schwangerschaft.
Zum dritten sind wir ZeugInnen eines Verrechtlichungsschubes, der im Ergebnis beides betrifft: die Spielräume der Innovatoren für Forschung und Industrie und die Reichweite der Veralltäglichung dessen, was den VerbraucherInnen als (neu) wünschbar und also einforderbar erscheint. Das Recht gibt sich als Begrenzung und ist dabei Instrument des politisch Möglichmachens. Konkret wird in Deutschland ein Fortpflanzungsmedizingesetz diskutiert, das diverse bestehende Regelungen neu ausbalancieren soll. alternative dazu ist (wie anderswo) eine Deregulierung oder das Unterlaufen bestehender Gesetze. Der Embryo ist der zentrale Gegenstand, auf den sich rechtsstaatliche Bemühungen richten.
Wo sich aktuell alles um »den Embryo« dreht, gerät endgültig aus dem Blick, was früher von Feministinnen immerhin angemahnt wurde: behandelt, kontrolliert, gestaltet, produktiv gemacht und qualitätsgesteuert (wie auch diszipliniert, manipuliert, gefährdet) werden Frauen. Denn, nahezu vergessen: »Den« Embryo als eigenständige Größe gibt es nur in dem Maße, wie sich Medizin, Technologie und ein dazugehöriger Personenbegriff auf ihn ausrichten. Als Schutzgut und Rechtssubjekt, das man gegen die Frau ins Feld führen kann, ist der Embryo eine historisch neue Kreation. Er ist – wie auch seine zahlreichen zellbiologischen Vorformen – aus dem Frauenleib herausdefineirt worden.
Die Grundidee dieses Denkzettels liegt genau darin, hinter dieses Verschwinden der Frauen und des Frauenleibs zurückzufragen. Was geschieht, wenn moderne Industriestaaten embryonale Zukunftstechnolgien entwerfen? Wie wird Wertschöpfung betrieben im Rahmen eines im Entstehen begriffenen Fortpflanzungsmarktes – und wie vollzieht sie sich am Leib der Frau? Stets ist das »Paar« die reproduktive Einheit, die man über den Körper der Frau»verarztet«: was folgt daraus? Auf welche Weise wird die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Leibes medial präpariert, bis sie in den biopolitischen Rahmen paßt? »Embryonen«, »Eier«, »Stammzellen«, einzelne »Erbinformationen« – werden sie nicht gewissermaßen doppelt oder dreifach: bio-technisch, aber auch bio-medial und bio-rechtlich produziert? Schließlich: Was wird am Körper der Frauen eigentlich gewonnen, wenn man Frauenkörper im Zeichen ihrer »Substanz« derart umfassenden Praktiken ausliefert?
Verschiedene Punkte haben wir unter dem Stichwort »frauenloser Embryo« zusammengetragen. Sie zeigen eher Wirkungsfelder, in denen sich Machtbegriffe entfalten, als daß sie eine einzige Strategie »der« Macht entlarven oder eine einzige Logik ausmachen wollen, die hinter allem steckt. Mit Kapitalismus, Patriachat, Biologismus hat jeder Flicken des Patchworks zu tun, in dem wir uns in je verschiedenen Rollen (und auch nie nur als Opfer) befinden. Letzterklärungen liefern uns die Ismen nicht. Wir bleiben bei folgendem patchwork von Beobachtungen:

  • Verrechtlichung: Hierzu ein »europäischer Vergleich« und eine neu entdeckte »Zielgruppe«, die der rechtlichen Normalisierung der technikgestützten Befruchtung dient.
  • Vermarktung: Hierzu eine Analyse zum internationalen »Eier«-Markt und Baustein der Embryo-Qualitätssicherung – zwei »Diagnostik-Labyrinthe« und der »Mutterpaß«.
  • Zubereitung in den Medien: Hierzu ein Ausflug ins »Befruchtungs-Marketing« von Fertinet & anderen sowie eine Essay zur »Stimulierung des Staunens«.
  • Mit Geschlechtern – ohne Geschlecht? Hierzu über Ei, Samen und »ICSI« sowie zu den Visionen von den sogenannten »embryonalen Stammzellen«.
  • Experten Sprache? Hierzu Fundstellen. Außerdem unter der Überschrift »Theater der Substanzen« ein kleines gegensprachliches Glossar.

[ Den vollständigen Denkzettel ist nur in gedruckter Form bei BioSkop erhältlich. ]

BioSkop, Denkzettel 4, Januar 2000.