"Biologische Lebensversicherung"

[img_assist|nid=194|title=|desc=|link=none|align=right|width=100|height=43]Stammzellen aus Nabelschnurblut werden in der biopolitischen Debatte neuerdings als vielfältige Hoffnungsträger dargestellt: Sie gelten als »Spende« und erstes »Geschenk» eines Neugeborenen an seine Mitmenschen, als biologische »Lebensversicherung« oder als rettendes »Therapeutikum« fürs Geschwisterkind. Die Heilungsversprechen werfen brisante Fragen auf – medizinische, juristische, sozialpolitische.

Blutstammzellen aus der Nabelschnur zu entnehmen, ist einfach und ohne Risiko für Mutter und Baby. Das Nabelschnurblut enthält – anders als Blut von Kindern und Erwachsenen – noch Stammzellen, die denen im Knochenmark entsprechen. Die Zellen lassen sich genau wie andere Blutstammzellen auf Menschen übertragen; dass sie mit Viren infiziert sind, ist unwahrscheinlich.

»Spenden«, »Aufbewahren«, »Gezielt verwenden« – so lässt sich der aktuelle Umgang mit Stammzellen aus Nabelschnurblut auf den Punkt bringen:

»Spenden«: Eltern können die Zellen an eine öffentliche Zell- und Gewebebank »spenden«. Nach einigen Tests, bei denen vor allem die immunologischen Eigenschaften der Zellen typisiert, aber auch kindliches und mütterliches Blut etwa auf Virusinfektionen untersucht werden, wird die Blut- bzw. Zellprobe, anonymisiert und eingefroren. Über eine Datenbank sollen die eingefrorenen Blutzellen allen potenziell Erkrankten zugänglich sein. Die »SpenderInnen« haben keine weiteren Rechte darauf. Nabelschnurblutbanken sind meist an Universitätskliniken angeschlossen, die größten deutschen gibt es in Düsseldorf und Mannheim.

Aufbewahren: Eltern können Nabelschnurblut aber auch in einer kommerziellen Zellbank einlagern lassen, um sie später bei Bedarf auf ihren Nachwuchs übertragen zu lassen. In den USA gibt es eine Vielzahl solcher Banken; in Deutschland existieren bisher zwei kommerzielle Zellbanken: Vita 34 in Leipzig und Cryo-Care in Köln. Unter dem Schlagwort »Biologische Lebensversicherung« können Eltern als rechtliche Vertreter ihres Kindes Nabelschnurblut für 20 Jahre, 99 Jahre bzw. lebenslang in Stickstofftanks aufbewahren lassen, diese Dienstleistung kostet zwischen 1.360 und 3.100 Euro.

Gezielt verwenden: Eine dritte Möglichkeit ist die »gerichtete Spende«. Dabei werden die Zellen für die Behandlung eines Erkrankten verwendet, der in der Regel mit dem Neugeborenen verwandt ist. Spektakuläre Fälle gab es bereits in den USA und Großbritannien, wo ReproduktionsmedizinerInnen mittels künstlicher Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik interessierten Paaren zu einem so genannten »Designer-Baby« verhalfen. Zweck der Prozeduren war die gezielte Zeugung eines gesunden Babys, dessen Nabelschnurblutzellen auf das erkrankte Kind übertragen werden sollten. Solche Transplantationen stellten MedizinerInnen und Medien häufig als selbstlose Tat des Neugeborenen dar. Tatsache ist aber auch, dass die technischen Machbarkeiten mindestens zwei Mal die Option bieten, das werdende Kind auf seine Tauglichkeit für den gewünschten Zweck zu überprüfen und die Schwangerschaft bei Nichtgefallen zu beenden. Die Möglichkeit, dass ein Kind so zum Nebenprodukt der gezielten Herstellung von Nabelschnurblut wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

»Zur Behandlung von ...«

Die Werbetexte, mit denen kommerzielle Anbieter über die Nutzungsmöglichkeiten von Nabelschnurstammzellen informieren, verheißen lebenslange, maßgeschneiderte Hilfe für eine Vielzahl schwer wiegender Erkrankungen. Dabei wird eine ganz praktische Einschränkung häufig ganz übergangen: Die Blutmenge, die sich der Nabelschnur entnehmen lässt, ist mit ungefähr 100 ml gering. Die darin enthaltene Anzahl von Stammzellen reicht nach dem Stand der Technik allenfalls zur Behandlung eines Menschen mit maximal 35 bis 40 kg Körpergewicht, also ausschließlich zur Behandlung von Kindern, nicht aber von Erwachsenen. Techniken zur Vermehrung von Blutstammzellen werden zwar erforscht, aber es liegen bislang keine verwertbaren Methoden vor. Außerdem fehlen Erfahrungen mit der längerfristigen Einlagerung solcher Zellen; derzeit glaubt man, dass die Zellen problemlos 15 Jahre aufbewahrt werden können. Vorausgesetzt, diese Einschätzung trifft zu, bedeutet das: Die vermeintliche »Lebensversicherungspolice Nabelschnurblutstammzellen« wird also bereits im Jugendalter abgelaufen sein.

Gleichwohl sind die Erwartungen, wofür sich die Zellen vielleicht einmal nutzen lassen, hoch. Die US-amerikanische Firma Cord Blood Register präsentiert im Internet (www.cordblood.com) eine Liste von mehr als 40 Erkrankungen, die mit Stammzellen aus Nabelschnurblut behandeln werden könnten: vor allem Leukämien und bösartige Tumoren, Fanconi-Anämie, Stoffwechsel- und (erbliche) Immunstörungen sowie »andere erbliche Erkrankungen«. Bis Mitte Mai war auf der Internet-Seite des Unternehmens noch eine einschränkende Fußnote zu finden, wonach die gesamte Liste aus Fällen bestehe, bei denen bislang Knochenmarkstammzellen verwendet wurden und dass Nabelschnurblutzellen für diese Behandlungen möglicherweise gar nicht geeignet seien. Welche neuen Erkenntnisse diese Zweifel womöglich beseitigt haben, lässt die Firma indes offen.

Unsicherheiten und Risiken

TransplantationsmedizinerInnen verweisen jedoch darauf, dass eigene (autologe) Stammzellen in vielen Fällen ungeeignet sein können, vor allem, wenn die Erkrankung zumindest auch genetisch bedingt sein soll. Selbst für ein Kind mit Leukämie würden autologe Stammzellen aber nur dann transplantiert werden, wenn sich kein geeigneter »Fremdspender« findet. Denn die Zellen von »SpenderInnen« (allogene Zellen) lösen durch ihre geringe Andersartigkeit eine Immunreaktion aus, die für den Heilungserfolg notwendig sei. »Die Heilungsraten von Blutkrebs liegen 10 bis 15 Prozent schlechter, wenn man eigene statt fremder Zellen verwendet«, zitierte das Deutsche Ärzteblatt den Heidelberger Professor Anthony Ho. Auf eine weitere Unsicherheit hatte ein Wissenschaftlerteam bereits 1999 in der Fachzeitschrift Lancet hingewiesen: Zumindest bei der häufigsten Leukämie-Variante bei Kindern, der Akuten Lymphoblastischen Leukämie, sei davon auszugehen, dass schon zum Zeitpunkt der Geburt Vorläufer der späteren Tumorzellen im Blut der Kinder zu finden seien. In einem solchen Fall könnte die Transplantation eigenen Nabelschnurbluts riskant sein und womöglich einen Rückfall verursachen. Solche Probleme machen deutlich: Dem Kind, von dem die Zellen stammen, werden diese bei einer Vielzahl der aufgelisteten Erkrankungen also gerade nicht helfen können.

Trortzdem wird der Einsatz von Stammzellen gegen eine Vielzahl von Erkrankungen, etwa Parkinson, Diabetes Typ 1 und Herzinfarkt, verheißen und erforscht. Die PatientInnen und ProbandInnen sind allesamt keine Säuglinge mehr, eigene Nabelschnurzellen der Versuchspersonen gibt es nicht. Das bedeutet, dass die ForscherInnen auf Stammzellen aus dem Knochenmark oder aus anderen »Quellen«, beispielsweise Embryonen, werden zurückgreifen müssen. Sollten sie auf diese Weise binnen 10, 20 oder 50 Jahren tatsächlich wirksame Stammzell-Therapien entwickeln (wofür es bisher aber noch keine seriösen Anhaltspunktspunkte gibt!), würde zur Anwendung derartiger Behandlungskonzepte logischerweise eigenes (autologes) Nabelschnurblut überhaupt nicht nötig sein.

Politische und juristische Fragen

Ungewiss ist, ob die autologen Zellen wirklich irgendwann das Potenzial haben werden, bestimmte Krankheiten zu heilen. Spätestens dann wird auch über sozialpolitische und juristische Fragen gestritten werden. Völlig offen ist zum Beispiel, wie sich der Preis der neuen Technik entwickeln und ob sie tatsächlich allen zur Verfügung stehen wird. Wahrscheinlich werden viele Eltern es sich nicht leisten können, Geld in die Aufbereitung und Lagerung solcher Zellen investieren.

Gefragt werden wird auch danach, wem die Zellen eigentlich gehören und wer über sie verfügen kann. Stammzellen aus Nabelschnurblut sind ein knappes Gut: Sie können nur ein einziges Mal, nämlich direkt nach der Geburt, gewonnen werden, und die Menge reicht nur für eine einzige Behandlung. Vor diesem Hintergrund liegen Rechtsstreitigkeiten in der Luft: Werden Kinder womöglich ihre Eltern verklagen, weil sie diese »therapeutische Chance« bei ihrer Geburt nicht genutzt haben? Haben Eltern überhaupt das Recht, die Zellen an Dritte zu »spenden«? Haben sie das Recht, sie für ein Geschwisterkind in Anspruch zu nehmen?

Ich will diese Fragen nicht beantworten, sondern hier nur anreißen, welche rechtlichen Auseinandersetzungen, welche unterschwelligen moralischen Pflichten entstehen können und werden. Das Dilemma, in die moralische Pflicht zu geraten, seine eigene körperliche Integrität aufzugeben, um jemanden zu helfen, ist aus der Transplantationsmedizin längst bekannt – es existiert auch, wenn gesunde Menschen Knochenmark, Nieren oder Teile der Leber an Erkrankte »spenden« sollen.

Vorausgesetzt, die Stammzell-Technik etabliert sich tatsächlich und die Eigentumsverhältnisse werden verbindlich geklärt, wird Geschäftemacherei nicht auszuschließen sein. »BesitzerInnen« von Stammzellen werden diese zum Verkauf anbieten – und zwar unabhängig davon, ob solche Angebote legal sind und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, die Zellen womöglich selbst zu benötigen. Das Internet wird – wie beim illegalen Handel mit Körperteilen auch – Möglichkeiten bieten, eventuelle Verbote zu umgehen.

Die Preis-Gabe körperlicher Integrität existiert längst und weltweit. Das reicht von hierzulande verbotenen Praktiken wie kommerzieller Organ-»Spende« und Leihmutterschaft bis zur Teilnahme an erlaubten Medikamentenstudien. Der Preis, der sich für die (einzig) passenden Zellen für ein schwer erkranktes Kind erzielen lassen wird, wird hoch sein.

A. Lorch, BioSkop 18, Juni 2002